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Während du die Resignation in dir aufsteigen spürst, während du dich innerlich schon darauf vorbereitest, in ein paar Tagen seinem Manager erklären zu müssen, dass dieser Auftrag ein hoffnungsloser Fall ist, bleibt er genau da, wo er ist. Und du begreifst plötzlich: Er hätte längst gehen können.

Doch er ist noch hier.

Also startest du einen letzten Versuch. Nicht, weil du noch an einen Sieg glaubst – sondern weil es jetzt sowieso egal ist. Weil du nichts mehr zu verlieren hast.

„Es liegt nicht an mir zu beurteilen, ob mich etwas stört. Aber ich denke, Sie haben Ihr Unternehmen wirklich gut geführt bisher.“

Du hältst seinen Blick. Keine Strategie mehr, kein taktisches Schachspiel. Nur Worte, ungefiltert, ehrlich.

„Ich habe die Zahlen gesehen. Sie machen irgendetwas wirklich richtig. Das verdient Respekt.“

Ein Moment vergeht. Dann setzt du nach, und diesmal liegt kein Kalkül mehr in deiner Stimme. Nur die Wahrheit.

„Deswegen würde ich es einfach schade finden, wenn Sie Abstriche in Ihrer Richtung machen müssten.“

Er sagt nichts. Keine sofortige Spitze, kein geübtes Kontern. Stattdessen… Stille. Aber nicht die übliche, bedrohlich-schwere, kalkulierte Stille, mit der er sich oft Zeit erkauft, um sein Gegenüber zu zerlegen. Nein – diesmal ist sie anders. Weil: damit hat er nicht gerechnet.

Seine Finger haben sich kurz an der Armlehne verkrampft. Eine Sekunde, vielleicht weniger. Doch du siehst es. Und dann… ein Luftholen. Ein langsamer, tiefer Atemzug, so als müsse er einen inneren Reflex unterdrücken. Als hätte ihn deine Worte mehr aus dem Konzept gebracht als alles, was du vorher gesagt hast.

Es war kein Schachzug. Keine Taktik. Nur Ehrlichkeit. Und genau das – genau das hat ihn ins Wanken gebracht.

„Schade.“

Er wiederholt das Wort, aber nicht mit Spott. Nicht mit Sarkasmus. Er schmeckt es auf der Zunge, prüft, wie es sich anfühlt, wenn es von jemand anderem ausgesprochen wird. Dann hebt er langsam den Blick, sieht dich an – diesmal ohne die übliche, abschätzende Distanz.

„Interessante Ansicht.“

Sein Tonfall ist ruhig, aber anders als zuvor. Nicht abweisend. Nicht mehr nur ein Spiel. Sondern fast… nachdenklich. Und du weißt nicht, ob du gerade eine Grenze überschritten hast – oder ob du die erste Person bist, die überhaupt so weit gekommen ist..

Seine Stimme ist ruhig, seine Haltung nach außen hin unverändert – doch irgendetwas hat sich verschoben. Ein winziger, unsichtbarer Riss in der sonst so makellosen Fassade. Er gibt dir keine Antwort auf deine Worte, zumindest nicht direkt. Doch anstatt das Thema endgültig zu beenden, anstatt das Gespräch zurück auf eine rein geschäftliche Ebene zu ziehen, tut er etwas anderes. Etwas Unerwartetes.

„Sie scheinen sehr überzeugt von dem zu sein, was Sie tun.“

Er sagt es fast beiläufig, sein Blick auf dich gerichtet, aber nicht mehr so durchdringend wie zuvor. Weniger ein kalkulierendes Sezieren, mehr… eine bewusste Beobachtung.

„Ich nehme an, das kostet Zeit. Viel Zeit.“

Ein leiser, kaum merklicher Hauch von Nachdenklichkeit in seinem Tonfall. Doch die Worte? Sie sind kein Zufall.

„Es gibt sicher Menschen, die das nicht verstehen.“

Eine subtile, gezielt gesetzte Bemerkung. Keine direkte Frage. Kein plumpes Interesse. Nur ein Kommentar, so neutral, dass er alles bedeuten könnte – und doch nichts von dem ist, was es auf den ersten Blick scheint.

„Oder die sich damit abfinden müssen.“

Ein winziges, kaum sichtbares Zucken in seinem Mundwinkel. Als wäre dies nur ein beiläufiger Gedankengang. Und doch… wartet er.

Darauf, ob du darauf eingehst. Darauf, ob du die Frage hinter seinen Worten erkennst.

Nicht hast du jemanden? Nicht bist du gebunden? Nein – das wäre zu direkt, zu offensichtlich. Stattdessen stellt er es als Reflexion dar, als Beobachtung. Aber die wahre Frage liegt darunter, versteckt zwischen den Zeilen.

Und plötzlich bist du nicht mehr sicher, ob dies nur ein weiterer Zug in seinem Spiel ist – oder ob er dich gerade wirklich zum ersten Mal als Person betrachtet und nicht nur als Funktion.

Du spürst es – dieser Moment ist anders.

Vielleicht, weil du gerade an einem Punkt angekommen bist, an dem du keine Lust mehr hast, mit ihm zu spielen. Vielleicht, weil du es leid bist, dich in seine taktischen Wortgefechte verstricken zu lassen, nur um am Ende doch gegen eine Wand zu laufen. Vielleicht aber auch, weil du gerade realisierst, dass du die ganze Zeit dachtest, er hält dich zum Narren – und jetzt merkst, dass es genau andersherum ist.

„Ja, manchmal bedeutet es viel Zeit zu investieren, aber es macht mir Spaß, und es gibt niemanden, dem ich etwas erklären müsste.“

Deine Worte sind schnörkellos, klar, direkt. Du lässt ihn wissen, dass du seine geschickte Frage durchschaut hast, dass du dich nicht darauf einlässt, nicht in diese leise, unterschwellige Andeutung. Dass es niemanden gibt, der in dein Leben hineinredet, niemanden, der von dir fordert, weniger Zeit für deine Arbeit aufzubringen. Dass du selbst entscheidest, wie du dein Leben führst.

Doch statt Zufriedenheit über diese Feststellung spürst du plötzlich… nichts.

Eine merkwürdige Leere, die sich in dir ausbreitet. Warum verplemperst du deine Zeit mit diesem Mann? Mit jemandem, der nur Spaß daran zu haben scheint, dich auflaufen zu lassen? Der jedes deiner Argumente in tausend Einzelteile zerlegt, als wäre es sein gottverdammtes Lieblingsspiel? Wieso setzt du dich diesem Wahnsinn überhaupt aus?

Du bemerkst langsam die Wut in dir aufsteigen. Nicht die frustrierte Art von Wut, sondern die kalte, schneidende – die, die dich normalerweise antreibt, die dich schärfer macht, fokussierter.

Gerade, als du beginnst, ihm in Gedanken die schlimmsten Schimpfwörter um die Ohren zu hauen – steht er auf.

Langsam. Kontrolliert. Ohne jede Hast. Die Bewegung eines Mannes, der genau weiß, dass er über alles in diesem Raum bestimmt. Über das Gespräch. Über das Ende davon. Und jetzt auch über dich, weil du es nicht ertragen kannst, dass er es beendet, bevor du bereit dazu bist.

Erschrocken erhebst du dich ebenfalls, fast aus Reflex, weil es unmöglich scheint, einfach sitzen zu bleiben, während er sich erhebt.

„Vielen Dank, dass Sie die Mühe auf sich genommen haben, herzukommen.“

Seine Stimme ist ruhig. Fast… freundlich? Nein. Nicht freundlich. Höflich. Die Höflichkeit eines Mannes, der es gewohnt ist, Menschen in genau diesem Ton zu verabschieden – kurz bevor er dafür sorgt, dass sie nie wieder eingeladen werden.

Seine Präsenz allein reicht aus, um dich zur Tür zu geleiten. Kein „bitte folgen Sie mir“, kein Blick, der dir sagt, dass du gehen sollst. Er hat entschieden, dass das Gespräch vorbei ist, und dein Körper folgt dieser Entscheidung, ob du willst oder nicht.

Du kannst nichts sagen. Nichts denken. Nicht einmal Wut verspüren. Nichts. Nur dieses leere, betäubte Gefühl, das irgendwo tief in dir hallt, als du dich bereits innerlich damit abfindest, dass du hier verdammt nochmal gescheitert bist.

Doch dann… direkt vor der Tür…

„Wie lange dauert so etwas eigentlich?“

Du blinzelst. Irritiert. Schaust ihn an.

„Diese… Webpräsenz.“ fügt er hinzu.

Kein Spott. Keine Abwehr. Nur eine leise, beiläufige Frage – eine, die nicht hätte kommen sollen. Eine, die sich anhört, als wäre sie ihm entglitten, als hätte sie sich aus seinem Mund gestohlen, bevor er die Kontrolle darüber hatte.

Du stammelst etwas von „Kommt auf den Umfang an… mit gründlicher Vorbereitung etwa einen Monat… ich habe ein gutes Team…“

„Hm.“

Ein leiser Laut. Mehr nicht. Doch dann…

„Danke.“

Nicht spöttisch. Nicht gespielt. Einfach ein Danke. Ein leises, nüchternes Wort, das schwer in der Luft hängt, als wäre es mehr, als es zu sein scheint.

Und dann… als Lennox die Tür öffnet… als die kalte, schottische Luft von draußen ins Schloss weht… reicht er dir plötzlich die Hand.

Seine Finger sind warm. Fester Griff. Kein zögerliches, halbherziges Händeschütteln, sondern ein bewusstes. Und während seine Hand deine berührt überträgt sich seine Wärme unweigerlich auf Dich, wie ein Energieschub.Dann hebt er den Blick – und schaut dir direkt in die Augen.

Eine Millisekunde zu lang, aber eine gefühlte Ewigkeit.

„Ich wünsche Ihnen eine gute Heimfahrt.“

Sein Griff löst sich und die Tür öffnet sich vollständig. Das Gespräch ist vorbei. Und doch – als du zurück zum Auto gehst, als der leichte Wind endlich wieder deine Lungen klärt – weißt du genau, dass du gerade etwas in seinen Augen gesehen hast, was anderen verborgen geblieben ist.

Und verdammt noch mal, das macht es nur noch schlimmer.

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